Die Sozialauswahl – Definition und Ablauf

Gerät ein Unternehmen in eine Notlage und lassen sich betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr vermeiden, ist das für alle Beteiligten eine schwierige Situation. Die Geschäftsführung muss sich von geschätzten Mitarbeitern trennen und die Angestellten bangen um ihre berufliche Zukunft. Die Auswahl der Personen, die in diesem Fall eine Kündigung erhalten, muss bestimmten Regeln folgen, die im deutschen Kündigungsschutzgesetz (KSchG) festgelegt sind.
Das Gesetz sieht im Fall von betriebsbedingten Kündigungen unter anderem die Durchführung einer Sozialauswahl vor. Sie soll dafür sorgen, dass die Auswahl der zu kündigenden Mitarbeiter nach sozialen Kriterien erfolgt und diejenigen weiterbeschäftigt werden, die besonders schutzbedürftig sind.

Was ist eine Sozialauswahl?

Das Thema Sozialauswahl wird für ein Unternehmen erst relevant, wenn betriebsbedingte Kündigungen nötig werden. Es beschreibt den Vorgang, bei dem alle Mitarbeiter, die aufgrund ihres Stellenprofils für die Kündigung in Betracht kommen, anhand festgelegter Kriterien miteinander verglichen werden.
Für die Sozialauswahl sind folgende Kriterien im KSchG festgelegt:
  • Dauer der Betriebszugehörigkeit
  • Lebensalter
  • Unterhaltspflichten
  • Schwerbehinderung
Diese Kriterien berücksichtigen die sozialen Lebensumstände jedes einzelnen Mitarbeiters. Die Auswertung im Anschluss soll zeigen, wer einen größeren Schutz benötigt und deshalb so lange wie möglich weiterbeschäftigt werden sollte.
Angestellte mit besonderem Kündigungsschutz (z. B. Schwangere oder Betriebsratsmitglieder) werden von vornherein nicht in die Sozialauswahl einbezogen.

Voraussetzungen für die Sozialauswahl

Die Durchführung einer Sozialauswahl vor der Kündigung ist zwar gesetzlich vorgeschrieben, gleichzeitig aber an konkrete Bedingungen gebunden. Sie ist nur dann erforderlich, wenn ein Unternehmen mehr als zehn Beschäftigte hat und nur ein Teil der Stellen gestrichen werden soll. Auszubildende zählen in diesem Sinne nicht als Arbeitnehmer und Teilzeitkräfte werden anhand ihrer Wochenarbeitszeit als halbe oder Dreiviertelstellen bewertet.
Außerdem werden nur Mitarbeiter berücksichtigt, die länger als sechs Monate im Unternehmen beschäftigt sind und für die dadurch der allgemeine Kündigungsschutz gilt.
Es gibt allerdings auch Ausnahmefälle, in denen der Arbeitgeber keine Sozialauswahl durchführen muss, damit betriebsbedingte Kündigungen rechtskräftig sind:
  • Eine vollständige Betriebsschließung erfordert die Entlassung aller Angestellten. Auf die soziale Situation der einzelnen Mitarbeiter kann keine Rücksicht genommen werden.
     
  • Wenn eine Einzelstelle gestrichen werden soll, die mit keiner anderen Position im Unternehmen vergleichbar ist (weder im Hinblick auf die Hierarchieebene noch auf das Aufgabengebiet), fehlt die für eine Sozialauswahl notwendige Vergleichsgruppe.
Wenn die Voraussetzungen für eine Sozialauswahl in einem Unternehmen erfüllt sind, muss ein Arbeitgeber diese auch durchführen. Nur dann gelten die ausgesprochenen Kündigungen als sozial gerechtfertigt und sind damit auch rechtskräftig. Bei unterbliebener oder fehlerhafter Sozialauswahl ist die Kündigung entsprechend § 1 Abs.3 des KschG rechtlich unwirksam und damit vor Gericht anfechtbar.

Wie wird die Sozialauswahl durchgeführt?

Fehler bei der Sozialauswahl können folgenreich sein: Im äußersten Fall drohen Prozesse vor dem Arbeitsgericht, in deren Verlauf alle ausgesprochenen Kündigungen als unwirksam erklärt werden, oder Abfindungszahlungen an die gekündigten Mitarbeiter. Um das möglichst von vornherein auszuschließen, muss die Sozialauswahl gewissenhaft vorbereitet werden.
Die größte Aufmerksamkeit erfordert die Zusammenstellung des Personenkreises, der für die Kündigung in Frage kommt. Hier geht man am besten nach den folgenden Schritten vor:
  1. Zunächst werden alle Arbeitnehmer erfasst, die aufgrund ähnlicher Tätigkeiten vergleichbar und prinzipiell miteinander austauschbar sind. Das setzt voraus, dass sie sich auf derselben Ebene der Unternehmenshierarchie befinden. Man spricht dann auch von horizontaler Vergleichbarkeit. Falls es die Unternehmensstruktur erfordert, können in diesem Schritt auch mehrere Vergleichsgruppen gebildet werden.
     
  2. Die vom Gesetz vorgeschriebenen sozialen Kriterien (Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung) werden nun so auf die Gruppe angewendet, dass alle Arbeitnehmer entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit in eine Reihenfolge gebracht werden (wie das genau geschieht, erläutern wir unten). Es ist wichtig zu wissen, dass nur die im Gesetzestext genannten Kriterien berücksichtigt werden dürfen. Eigene Kriterien aufzustellen macht die Sozialauswahl fehlerhaft und die auf ihr basierenden Kündigungen rechtlich unwirksam.
     
  3. Im letzten Schritt muss geprüft werden, ob einige der aufgeführten Mitarbeiter eventuell aus der Sozialauswahl herausfallen, weil sie von besonderer Bedeutung für das Unternehmen sind. Entsprechend § 1 Abs. 3 Satz 2 des KSchG trifft das dann zu, wenn sie aufgrund ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen wichtig für den Fortbestand des Unternehmens sind. Auch der Erhalt einer ausgeglichenen Personalstruktur kann als Grund angeführt werden. In beiden Fällen muss der Arbeitgeber diese Ausnahmen begründen bzw. nachweisen können.

Gewichtung der sozialen Kriterien mit einem Punktesystem

Sieht man sich die dargestellten Schritte an, bleibt die Frage offen, wie die Anordnung der Arbeitnehmer nach den sozialen Kriterien in der Praxis umgesetzt werden soll. Im Gesetzestext finden sich dazu keine Anhaltspunkte. Inzwischen ist es üblich, die Kriterien der Sozialauswahl in ein Punktesystem umzurechnen. Dabei werden für jede Einheit (z. B. pro Beschäftigungs- oder Lebensjahr) festgelegte Punktewerte vergeben, die am Ende für alle Kriterien addiert werden. So ergibt sich für alle Angestellten ein eigener Zahlenwert, mit dem sie sich innerhalb ihrer Vergleichsgruppe in eine Ordnung bringen lassen.
Hinweis
Wenn es im Unternehmen einen Betriebsrat gibt, muss dieser nicht nur über die geplanten Kündigungen informiert werden, sondern hat auch bei der Erarbeitung des Bewertungsschemas für die einzelnen Kriterien ein Mitbestimmungsrecht. Um Missverständnisse und Streitigkeiten zu vermeiden, ist es deshalb empfehlenswert, die Sozialauswahl von Anfang an in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat vorzubereiten und durchzuführen. Im besten Fall besteht bereits eine Betriebsvereinbarung, in der sowohl die sozialen Auswahlkriterien als auch deren Wertung entsprechend festgelegt ist.
Gibt es weder Tarifverträge noch Betriebsvereinbarungen, in denen die Rahmenbedingungen für eine Sozialauswahl festgelegt sind, bleibt es im Prinzip dem Arbeitgeber überlassen, wie er die einzelnen Kriterien gewichtet. Die meisten greifen dann auf das vom Bundesarbeitsgericht (BAG) akzeptierte Punkteauswahlschema zurück, das die folgende Verteilung vorsieht:
Beschäftigungsdauer Bis zu 10 Jahre: 1 Punkt pro JahrAb dem 11. Jahr: 2 Punkte für jedes weitere Jahr(die Betriebszugehörigkeit wird nur bis zum Ende des 55. Lebensjahrs berücksichtigt)
Lebensalter 1 Punkt pro Lebensjahr(das Alter wird maximal bis zum 55. Lebensjahr berücksichtigt)
Unterhaltspflichten 4 Punkte pro unterhaltsberechtigtem Kind8 Punkte für Verheiratete
Schwerbehinderung 5 Punkte bei bis zu 50 % ErwerbsminderungBei mehr als 50 % Erwerbsminderung je 1 Punkt für 10 %
Rechenbeispiel:
Die Beschäftigte A ist eine 34-jährige alleinstehende Mutter von zwei Kindern und seit 5 Jahren im Unternehmen beschäftigt. Für sie ergibt sich ein Punktewert von 47 (34 Punkte für das Lebensalter + 5 Punkte für die Beschäftigungsdauer + 8 Punkte für den Unterhalt zweier Kinder). Im Vergleich dazu kommt der Beschäftigte B, ihr 39-jähriger verheirateter, aber kinderloser Kollege, der seit 12 Jahren für das Unternehmen arbeitet, auf insgesamt 61 Punkte (39 + 14 + 8).

Probleme der Sozialauswahl mit einem Punktesystem

Am vorangehenden Rechenbeispiel lässt sich ein Problem erkennen, das auftritt, wenn bei der Sozialauswahl nur die Punkte berücksichtigt werden. Diese würden nämlich ergeben, dass der Beschäftigte B sozial schutzbedürftiger ist als die Beschäftigte A. In der Realität des Arbeitsmarktes ist es jedoch für A wesentlich schwerer, als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern einen neuen Arbeitsplatz zu finden, als für B. Zudem könnte es sein, dass die Ehefrau von B einen gut bezahlten Job hat, sodass die finanzielle Belastung für den Haushalt beim vorübergehenden Ausfall seines Einkommens deutlich geringer wäre als für den Haushalt der Beschäftigten A.
Aus diesem Grund wurde in mehreren BAG-Urteilen spezifiziert, dass bei der Sozialauswahl mit einem Punktesystem nur ein erster Eindruck der Sozialstruktur gewonnen werden sollte. Bevor dann eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen wird, muss individuell geprüft werden, ob die Lebensumstände des Angestellten ausreichend berücksichtigt wurden.
Ein weiteres Problem kann sich daraus ergeben, dass Lebensalter und Betriebszugehörigkeit bei der Punkteverteilung in unserem Beispiel stark ins Gewicht fallen. In einem Unternehmen mit zuvor sehr ausgewogener Personalstruktur könnte das zum Ergebnis haben, dass viele junge, ledige Mitarbeiter das Unternehmen verlassen müssen. Wenn dadurch das Durchschnittsalter der gesamten Belegschaft erheblich ansteigt und für die Zukunft wichtige Nachwuchskräfte wegfallen, liegt das allerdings nicht im Interesse des Unternehmens.
Auch für diesen Fall erlaubt das BAG, dass die Sozialauswahl an die Gegebenheiten im Unternehmen angepasst wird. Eine anerkannte Lösung wäre die Bildung von Altersgruppen, in denen z. B. die Beschäftigten im Alter von 21 bis 30, von 31 bis 45 und ab 46 Jahren zusammengefasst werden. Die Sozialauswahl findet dann jeweils innerhalb der Gruppe statt. Der Vorwurf der Altersdiskriminierung entsprechend des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) wird vom BAG nicht anerkannt, wenn die Bildung von Altersgruppen eindeutig im betrieblichen Interesse liegt, wie es im § 1 Abs. 3 des KSchG definiert ist.

Fazit: Unternehmensspezifische Lösungen finden

Die Sozialauswahl vor Kündigungen bietet eine beachtliche Menge an Fehlerquellen und Stolpersteinen, da viele der Fragen und Probleme weder mit den Regelungen des KSchG noch mit den aktuell vorliegenden BAG-Urteilen eindeutig geklärt werden können. Gleichzeitig können Fehler bei der Sozialauswahl schwerwiegende Folgen für ein ohnehin geschwächtes Unternehmen haben.
Gibt es keinen Tarifvertrag, der die Bedingungen einer Sozialauswahl für die jeweilige Branche festlegt, empfiehlt es sich, diese Kriterien in einer Betriebsvereinbarung selbst zu erarbeiten, um im Ernstfall schnell handlungsfähig zu sein.
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, vom Gesetz abweichende Bestimmungen zur Kündigung in den Arbeitsverträgen der Mitarbeiter festzuhalten oder den nötigen Stellenabbau mit individuellen Aufhebungsverträgen umzusetzen. Hier ist allerdings ebenfalls große Vorsicht geboten: Ein Arbeitsvertrag, der den Arbeitnehmer schlechter stellt, als es die Gesetzgebung vorsieht, ist anfechtbar, denn im Zweifelsfall gilt immer die für den Arbeitnehmer günstigste Regelung.
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